Hörbuch

Seit Januar 2024 gibt es einen ersten Teil des Grundlagen-Kapitels als Audio-Version zu hören. Kostenlos überall, wo es Podcasts gibt im Kanal „My Brain My Choice Zum Hören“ oder hier:


Auf dieser Seite finden sich die Abbildungen, das Literaturverzeichnis des Grundlagen-Kapitels und das (gekürzte) Hörbuch-Skript.


1. Abbildungen

Das Buch zeigt auf Seite 31 das Plakat der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1998. Aufrufbar ist es auch hier im Web in Farbe. Es zeigt ein wohl etwa zehnjähriges Kind in Nahaufnahme, wie es den Betrachter mit großen Augen erwartungsvoll ansieht. In großen Buchstaben heißt es „A drug-free world. We can do it.“ Übersetzt also in etwa: „Eine drogenfreie Welt. Wir schaffen das.“

2. Literaturverzeichnis

Die Literaturverweise an den Textstellen finden sich im Buch.

Hier alphabetisch im Überblick:

3. Manuskript

Intro

Dieses Hörbuch ist eine gekürzte Version des Grundlagen-Kapitels aus dem Praxisleitfaden “Cannabis Regulieren” der Transform Drug Policy Foundation. Transform hat das Handbuch erstmals 2013 veröffentlicht, als die ersten Staaten in den USA und Uruguay Regulierungen für den nicht-medizinischen Cannabisgebrauch erarbeitet und umgesetzt haben. Dieses Hörbuch ist eine Lesung aus der 3., aktualisierten und erweiterten Auflage von 2022. Es wurde von uns, der My Brain My Choice Initiative, ins Deutsche übersetzt und ist dank einer Förderung der Open Society Foundations kostenfrei unter www.legalisierung.info zugänglich. Co-Herausgeber des deutschsprachigen Buchs ist der Akzept Bundesverband. Die Veröffentlichung wurde von der Deutschen Aidshilfe, dem JES Bundesverband, Students for Sensible Drug Policy Berlin und dem Schildower Kreis unterstützt..

Um Hilfestellung bei den wichtigsten Herausforderungen zu bieten, die mit der Entwicklung und Umsetzung eines wirksamen Regulierungskonzepts verbunden sind, hat Transform in internationaler Zusammenarbeit mit Kolleg*innen aus weiteren drogenpolitischen Organisationen diesen Praxisleitfaden für diejenigen erstellt, die sich mit der Cannabispolitik befassen. Der Leitfaden bietet kein allgemeingültiges Modell, sondern eine Reihe von Empfehlungen, die flexibel genug sind, um denjenigen, die sich mit der Regulierung befassen, dabei zu helfen, einen Ansatz zu entwickeln, der den lokalen Gegebenheiten Rechnung trägt und gleichzeitig auf das Ziel einer Welt ausgerichtet ist, in der die Drogenpolitik die Gesundheit fördert, Menschen in schwierigen Situationen schützt und die Sicherheit der Menschen in den Mittelpunkt stellt.

Politischer Kontext

Die Debatte über die Legalisierung und Regulierung von Cannabis wird seit dem Verbot der Pflanze geführt. Doch nun nähert sie sich ihrem Ende. Die Befürwortung eines auf Strafe setzenden, prohibitionistischen Ansatzes nimmt rapide ab, während pragmatische Reformen in der politischen und öffentlichen Diskussion entscheidend an Unterstützung gewinnen. Seit der Erstveröffentlichung dieses Buchs im Jahr 2013 haben Uruguay, Kanada, Mexiko, Malta, Südafrika, Deutschland, Luxemburg, Thailand und 19 US-Staaten Cannabis legal reguliert oder befinden sich auf dem Weg dahin. Weitere cannabispolitische Entwicklungen stehen auf allen Kontinenten unmittelbar bevor. Die zentrale Frage lautet nicht mehr nur: „Sollten wir die Cannabisprohibition aufrechterhalten?“ oder „Wie wird die legale Regulierung in der Praxis funktionieren?“, sondern auch: „Was können wir aus den bisherigen Anstrengungen zur Legalisierung lernen?“.

Die Regulierung von Cannabis ist keine hypothetische Überlegung mehr, und die Herausforderung besteht nicht mehr darin, zu beweisen, dass es funktionierende Konzepte gibt; die Regulierung wurde bereits auf verschiedene Arten mit unterschiedlichen Ergebnissen umgesetzt. Die Herausforderung besteht nun darin, sich an den besten Ansätzen zu orientieren, aus den ersten Erfahrungen zu lernen und an der Verbesserung der Regulierungsmodelle zu arbeiten, um die Allgemeinheit bestmöglich abzusichern, Schäden zu minimieren und soziale Gerechtigkeit zu fördern. Die Reformen schreiten zügig voran. Wir nähern uns rasch einer halben Milliarde Menschen an, die in Regionen leben, in denen Cannabis legal ist.

Die ersten Erfahrungen mit der Legalisierung von Cannabis haben Fragen sozialer Gerechtigkeit und rassistischer Strukturen in den Fokus gerückt. In den USA haben verschiedene Programme mit unterschiedlichem Erfolg versucht, jenen Bevölkerungsgruppen, die vom “Krieg gegen die Drogen” überproportional betroffen sind, den Zugang zum Markt zu erleichtern. In diesem Zusammenhang haben die Überlegungen zur Tilgung von Vorstrafen an Aufmerksamkeit gewonnen.

Ein damit verbundenes akutes Problem, das besonderer Aufmerksamkeit bedarf, ist die Gefahr der Überkommerzialisierung und Monopolisierung des Marktes und der damit einhergehenden unverhältnismäßigen politischen Einflussnahme durch einige wenige marktbeherrschende Konzerne. Wenn hier nicht von Anfang an aktiv gegengesteuert wird, besteht die reale Gefahr, dass die Vorteile der Cannabislegalisierung nicht denjenigen zugute kommen, die unter der Prohibition am meisten gelitten haben, und dass sich viele der schädlichen Marktdynamiken, die sich bei Tabak und Alkohol entfalten konnten, wiederholen. Dieser Fall muss jedoch nicht eintreten. In diesem Leitfaden wird deutlich vermittelt, welche Fallstricke es zu vermeiden gilt und welche politischen Maßnahmen es braucht, um einen Rechtsrahmen zu schaffen, der für die öffentliche Gesundheit und soziale Gerechtigkeit wirklich förderlich ist.

Cannabis ist die weltweit meistgenutzte illegale Droge. Gemäß einer wahrscheinlich eher konservativen Schätzung des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (United Nations Office on Drugs and Crime, UNODC) sind es im Jahr 192 Millionen Menschen, die Cannabis nutzen. Die Konsumausgaben werden auf 40 bis 120 Milliarden Euro beziffert. Diese Summen verschaffen unregulierten Anbietern und kriminellen Organisationen auf dem illegalen Markt seit vielen Jahren eine lukrative, steuerfreie Einkommensquelle. Im Zuge der zunehmenden legalen Regulierungen inländischer Cannabismärkte konnte bereits ein Teil dieser Einnahmen an lizenzierte Produzent*innen und Verkäufer*innen und an den Staat umgeleitet werden.

Vor etwa 100 Jahren wurde Cannabis zusammen mit anderen psychoaktiven Substanzen als „Rauschgift“ und „Gefahr“ gebrandmarkt. Ihr nichtmedizinischer Gebrauch sollte vollständig, mittels eines angeblich gewinnbaren Krieges, beseitigt werden. Der Blick auf die letzten 50 Jahre zeigt allerdings, dass die Politik der Prohibition ihre Ziele nicht erreicht hat und auch nicht erreichen kann. Schlimmer noch: Wie sogar das UNODC selbst einwendet, haben die prohibitionistischen Maßnahmen eine Reihe katastrophaler „unbeabsichtigter Folgen“ hervorgebracht. Wenn man jedoch bedenkt, wie gut diese Folgen dokumentiert sind, ist es wenig nachvollziehbar, sie „unbeabsichtigt“ zu nennen; es sind schlicht die zwangsläufig negativen Auswirkungen der Prohibition. Die eigene Analyse des UNODC hat gezeigt, dass das internationale Drogenkontrollsystem selbst letztlich in der Verantwortung für die meisten drogenbezogenen Schäden steht — unter anderem durch die Schaffung finanzieller Voraussetzungen, die es transnational organisierten, kriminellen Organisationen ermöglichen, mit Staaten in allen Teilen der Welt um Macht zu konkurrieren.

Anstatt sich jedoch auf die Verringerung der Schäden für einzelne Personen und die Gesellschaften zu konzentrieren, ist die Bekämpfung der beiden wahrgenommenen „Bedrohungen“ — der Drogen selbst und derjenigen, die sie anbieten — großteils zum Selbstzweck geworden. Dies ging mit einem Rückzug in eine weitgehend selbstreferentielle und die eigene Arbeit rechtfertigende Rhetorik einher. So wurde eine sinnvolle Evaluation, Kritik und Debatte erschwert und diejenigen, die sich für Veränderungen einsetzen, wurden pauschal als „Befürworter von Drogen“, als „Drogen verharmlosend“ bzw. „verherrlichend“ in die Ecke gestellt. Aus diesem Verständnis heraus bildeten sich bis in die obersten politischen Ebenen Vorgehensweisen, die wissenschaftliche Kritik ebenso wie gesundheits- und sozialpolitische Grundsätze regelmäßig übergehen.

Über das Ausmaß des Scheiterns wurde über Jahrzehnte hinweg und weltweit in hunderten unabhängigen und objektiven Untersuchungen von offiziellen Ausschüssen, Wissenschaftler*innen und Nichtregierungsorganisationen detailliert berichtet.

Auch wenn diese Kritik unausweichlich in einen Großteil der Analyse des Leitfadens eingewoben ist — da viele der aktuellen Risiken und Schäden, die mit Cannabis und dem Cannabis-Markt verbunden sind, direkt oder indirekt auf die Prohibition zurückzuführen sind — wird sie hier nicht weiter vertieft. Von den Schäden, die mit der massenhaften Kriminalisierung von Personen, die Cannabis nutzen, und kleinen Akteur*innen auf dem Cannabis-Markt einhergehen, abgesehen, sorgt die fehlende Regulierung des Marktes darüber hinaus für eine größtmögliche Steigerung der mit dem Cannabisgebrauch verbundenen Risiken. Die Prohibitionspolitik überlässt die Kontrolle über den Markt unregulierten Händler*innen und kriminellen Organisationen.

Der Leitfaden beruht auf der Feststellung, dass die Prohibition gescheitert ist, und auf der Einschätzung, dass sich diese Erkenntnis — zumindest für Cannabis — inzwischen zum Konsens entwickelt hat. Die Debatte hat sich über die Fragen hinaus bewegt, ob die Prohibition eine grundsätzlich gute Idee ist und sie in einer Art und Weise verbessert und angepasst werden kann, die funktioniert. Die Realität ist, dass die Cannabis-Politik und -Gesetze in verschiedenen Medien ebenso wie in der politischen Debatte in vielen Teilen der Welt momentan eingehend hinterfragt werden und zahlreiche, tiefgreifende Reformen bereits in Gange sind. Nahezu überall bewegen sich diese Reformen weg von den Modellen der Durchsetzung eines „Kriegs gegen die Drogen“ hin zu einem weniger strafenden Umgang mit Personen, die Cannabis nutzen, sowie hin zu einem stärkeren Fokus auf Maßnahmen zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheitsleistungen, der Verringerung von Ungleichheit und der Gewährung der Menschenrechte. Die Reformbestrebungen befassen sich mit den rechtlichen Möglichkeiten zur Regulierung und Handhabung der Cannabis-Produktion und -Verfügbarkeit.

Neben Kanada, Uruguay, Mexiko, Malta und den 19 US-Staaten, die in den letzten zehn Jahren Cannabis für nicht-medizinische Zwecke legalisiert haben, sind auch zahlreiche andere Länder wie Luxemburg, die Schweiz, Deutschland, Israel, Südafrika und Länder in der Karibik dabei, Rahmenbedingungen für den legalen Verkauf zu entwickeln. 36 US-Staaten haben medizinisches Cannabis mehr oder weniger zugelassen, während die auf US-Bundesebene eingebrachte Gesetzesinitiative Cannabis vollständig entkriminalisieren und neu kategorisieren, und hierdurch Hindernisse für weitere Regulierungen in den Staaten beseitigen soll. All dies ist Teil einer größeren globalen Bewegung für progressive Cannabis-Reformen der letzten Jahre, die zur Abschaffung strafrechtlicher Sanktionen für Anbau-Clubs und Eigenanbau geführt haben. Zudem wurden einige Vorstöße auf kommunaler und regionaler Ebene unternommen, bspw. das tolerierte Angebot in Kopenhagen und in über 20 Gemeinden in den Niederlanden.

Die Entwicklungen schreiten rasch voran; die politischen Entscheidungsträger*innen sollten die bisherigen Erkenntnisse berücksichtigen und einbeziehen. Es kommt bei zukünftigen Regulierungen nun darauf an, aus den Erfolgen und Misserfolgen in den USA, Kanada, Uruguay, Mexiko und andernorts zu lernen. Dabei spielt die Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle für die Identifikation und Vermittlung sich bewährender Maßnahmen. Auch weitergehende Reformen werden auf internationaler Ebene diskutiert, seit Länder (insbesondere Lateinamerikas) alternative Ansätze zum Generalverbot aller Drogen fordern. In einer gemeinsamen Erklärung auf der UN-Generalversammlung im Jahr 2012 forderten die Präsidenten von Guatemala, Kolumbien und Mexiko die Vereinten Nationen auf, das derzeitige Drogenkontrollsystem zu überprüfen und „alle verfügbaren Optionen, einschließlich regulatorischer oder marktwirtschaftlicher Alternativen, zu analysieren“. Daraufhin hielten die Vereinten Nationen im April 2016 eine Sondersitzung der Generalversammlung ab, um die Antworten auf das „weltweite Drogenproblem“ kritisch zu überprüfen. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen unterstützte diesen Prozess und forderte die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, „diese Gelegenheit zu nutzen, um eine weitreichende und offene Debatte zu führen, die alle Optionen in Betracht zieht“. Bei dieser Sitzung wurde zwar letztlich keine Lösungen gefunden, wie das internationale Drogenkontrollsystem den zunehmenden Forderungen der Mitgliedstaaten nach Reformen gerecht werden kann, aber neun Mitgliedstaaten sprachen sich in der Generalversammlung für eine legale Regulierung aus und das Thema dominierte einen Großteil der anschließenden Diskussionen.

Dieser hochrangige politische Wandel spiegelte sich auch in dem bahnbrechenden Bericht der Organisation Amerikanischer Staaten („Organization of American States“) aus dem Jahr 2013 wider, in dem die Entkriminalisierung von Drogenbesitz und -gebrauch für den Eigenbedarf befürwortet und zur Frage der Cannabislegalisierung festgehalten wurde, dass „früher oder später Entscheidungen hierzu getroffen werden müssen“. Vor allem aber wurde darin ein gangbarer Weg aufgezeigt, über den eine Cannabisregulierung auf nationaler sowie UN-Ebene überprüft werden könne.

Im Jahr 2019 empfahl die Weltgesundheitsorganisation (WHO), Cannabis aus Anhang 4 des Übereinkommens der Vereinten Nationen von 1961 zu streichen. Dieser Schritt hatte zwar keine unmittelbare Bedeutung für die internationale Regulierung von Cannabis für nicht-medizinische Zwecke, aber sollte dazu beitragen, die zunehmend belegten medizinischen Eigenschaften von Cannabis anzuerkennen. Die politische Stellung von Cannabis auf internationaler Ebene wurde offenbar als so wackelig und der völkerrechtliche Rahmen zur Drogenkontrolle als derart angreifbar wahrgenommen, dass die UN-Suchtstoffkommission („Commission on Narcotic Drugs“, CND) zweimal dafür stimmte, die Abstimmung über die Neueinstufung zu verschieben und auf diesem Weg das Unvermeidliche hinauszuzögern. Es wurde offenkundig befürchtet, dass selbst ein solch kleiner, symbolischer Schritt zu unaufhaltsamen Zersetzungserscheinungen in den maroden Strukturen des internationalen Drogenkontrollsystems führen könnte. Im Dezember des Jahres 2020 konnte die Abstimmung aber schließlich stattfinden und die Kommission stimmte für die Streichung von Cannabis aus Anhang 4, also für die Anerkennung des medizinischen Nutzens.

Dieser Leitfaden hat sich nicht nur deshalb als notwendig erwiesen, weil die Legalisierungs- und Regulierungsdebatte als ehemals randständiges Thema im politischen Mainstream angekommen ist, sondern auch, weil sich die Cannabisregulierung mittlerweile von der Theorie zur Praxis bewegt hat. Die praktische Umsetzung von Cannabisregulierungen bietet eine aufschlussreiche empirische Grundlage, aus der wir lernen müssen; sie bietet eine wertvolle Chance zur Orientierung an bewährten Ansätzen für eine zielführende Cannabisregulierung und zeigt, an welchen Stellen die Gestaltung einer Politik versagen oder in die falsche Richtung laufen kann. Es ist nun unsere Aufgabe — als politische Entscheidungstragende, skeptische Beobachtende der Entwicklungen und Befürwortende von Reformen — dafür zu sorgen, dass die Regulierung auf die richtige Weise erfolgt und die von uns gemeinsam angestrebten Ziele erfüllen wird.

Merkmale und Ziele einer erfolgreichen Cannabisregulierung

Klare Kriterien und Ziele sind sowohl für die Entwicklung der Politik als auch für die Bewertung ihrer Auswirkungen unerlässlich, um Verbesserungen in der Zukunft leichter umsetzen zu können. In der Cannabispolitik wie in der Drogenpolitik im Allgemeinen fehlen sie jedoch häufig. Stattdessen werden vage Ziele wie „die richtigen Signale setzen“ vorgebracht oder sie gehen im Populismus „gegen Drogen“ unter: Drogen seien gefährlich, deshalb müsse mit allen Mitteln hart durchgegriffen werden. 

Regulatorische Maßnahmen müssen anders ansetzen: Wenn ihr Zweck in zentralen Zielen begründet ist, wird ihr Erfolg messbar. 

Kanada hat bei seiner Cannabisregulierung im Jahr 2018 die wesentlichen Ziele von Beginn an definiert: Jugendschutz, Förderung der allgemeinen Gesundheit und Reduzierung der Kriminalität. Die Regierung wurde dafür kritisiert, wichtige Kriterien, allen voran soziale Gerechtigkeit, außer Acht gelassen zu haben. Durch die klare Formulierung ihrer politischen Absichten ist es der kanadischen Regierung aber immerhin gelungen, die Wirkung und den Erfolg der Gesetze auswerten zu können.

Wenn in der Vergangenheit Ziele formuliert wurden, kamen darin meist die ideologischen oder politischen Anliegen der Verbotsbefürwortenden zum Ausdruck, d.h. sie konzentrierten sich entweder zu sehr auf die Verfolgung und Bestrafung von Personen, die Drogen gebrauchten oder verkauften, oder auf die Reduzierung bzw. vollständige Eliminierung des Drogengebrauchs. Dies oft mit dem gezielten Hinweis auf das Streben nach einer „drogenfreien Welt“/„drug-free world“ – dem Hauptziel, dem alle anderen Ziele untergeordnet wurden.

Moralvorstellungen spielen in der drogenpolitischen Debatte eine erhebliche Rolle. Ein vereinfachtes Verständnis von illegalem Drogengebrauch als grundsätzlich unmoralisch oder gar „schlecht“ dient vielen als Rechtfertigung für Repression. Zwischen moralischen Urteilen über individuelles, privates Verhalten und moralischer Politik und Gesetzgebung sollte jedoch unterschieden werden. Dieser Leitfaden soll eine Reihe von Strategien und Maßnahmen vorstellen, die den potenziellen Schaden minimieren und den potenziellen Nutzen maximieren können – sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene.

Die legale Regulierung von Cannabis mag einigen radikal erscheinen. Die rechtliche und historische Realität zeigt jedoch, dass die Prohibition die radikale Politik ist. Die legale Regulierung der Produktion, des Vertriebs und des Gebrauchs von Drogen entspricht hingegen weit mehr den Methoden, die heutzutage in fast allen anderen Lebensbereichen als sinnvoll erachtet werden, um mit gesundheitlichen und sozialen Risiken umzugehen. Dieser Leitfaden behandelt keine radikal neuen Ansätze, sondern orientiert sich an bewährten Grundsätzen des politischen Umgangs mit Risiken im Allgemeinen und schlägt lediglich vor, diese auf einen Bereich auszudehnen, in dem sie bisher noch wenig Anwendung gefunden haben. Die nachfolgenden Grundsätze für eine erfolgreiche Regulierung lehnen sich an die allgemeinen Grundsätze für politische Maßnahmen der neuseeländischen Regierung an.

Merkmale einer gelingenden Regulierung

  1. Verhältnismäßigkeit

Der Aufwand für die Einhaltung bzw. Durchsetzung von Vorschriften sollte in einem angemessenen Verhältnis zum erwarteten Nutzen stehen. Mit anderen Worten: Gesetzgeber und Behörden müssen ihre Entscheidungen auf der Grundlage von Risikobewertungen und einer Abwägung von Kosten und Nutzen treffen. Dies bedeutet unter anderem, dass eine Vorschrift zielgerichtet sein muss und dass der Nutzen einer Änderung die Kosten des Eingriffs überwiegen muss.

1. Planbarkeit

Das Regulierungssystem sollte den beteiligten Unternehmen Planungssicherheit bieten und auf andere Politikbereiche (hier unter anderem die Alkohol- und Tabakregulierung) abgestimmt sein. Ein Spannungsverhältnis zwischen Planbarkeit und Flexibilität ist allerdings möglich.

2. Flexibilität

Die beteiligten Unternehmen sollten über einen gewissen Spielraum verfügen, um kosteneffiziente und innovative Ansätze zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen verfolgen zu können. Ein Regulierungssystem ist flexibel, wenn, erstens, der zugrundeliegende Regulierungsansatz an den übergeordneten Zielen und der Eignung der Maßnahmen gemessen wird, zweitens, die Richtlinien und Prozesse so gestaltet sind, dass sie einen gewissen Handlungsspielraum zulassen, und drittens, nicht-regulatorischen Ansätzen, einschließlich der unternehmerischen Selbstkontrolle, wann immer möglich Vorrang eingeräumt wird.

3. Stabilität

Das Prinzip der Stabilität ist eng mit dem Prinzip der Flexibilität verbunden; das Regulierungssystem sollte in der Lage sein, sich an neue Erkenntnisse und veränderte Umstände anzupassen. Flexibilität und Stabilität sind zwei Seiten derselben Medaille; ein System ist eher von Dauer, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind, dass es „lernen“ kann. Hinweise auf Stabilität sind erstens das Vorhandensein von Feedback-Systemen zur Bewertung des rechtlichen Rahmens in der Praxis, zweitens Verfahren zur regelmäßigen und anlassbezogenen Neubewertung von Entscheidungen und drittens die Fähigkeit des Regelwerks, mit dem technologischen Wandel und Innovationen aus anderen Bereichen Schritt zu halten.

4. Transparenz und Rechenschaftspflicht

Das Prinzip der Stabilität spiegelt sich auch in dem Grundsatz wider, dass die Entwicklung und Durchsetzung von Vorschriften transparent erfolgen müssen. Gesetzgeber und Behörden müssen ihre Entscheidungen rechtfertigen können und sie müssen der öffentlichen Kontrolle unterliegen. Dieses Prinzip beinhaltet auch das Recht auf Leben ohne Diskriminierung, die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, und eine solide rechtliche Basis für alle Entscheidungen.

5. Ausgestattete Behörden

Die Regulierungsbehörden müssen über das Personal und die Mittel verfügen, um ein Regulierungssystem erfolgreich verwalten zu können. Dazu gehören regelmäßige unabhängige Überprüfungen und Bewertungen.

6. Angemessene Gewichtung wirtschaftlicher Ziele

Die wirtschaftlichen Ziele müssen in ein angemessenes Verhältnis zu den anderen Zielen wie Gesundheits-, Umwelt-, Verbraucher- und Anlegerschutz sowie Sicherheitsfragen gesetzt werden. Die Auswirkungen der Regulierung auf Wettbewerb, Innovation, Exporte, Kosten für die Einhaltung von Vorschriften und die Attraktivität für Handel und Investitionen müssen berücksichtigt werden.

Transform empfiehlt zur Neuausrichtung der Cannabispolitik die folgenden 8 Hauptziele:

  1. Achtung, Schutz und Förderung der Menschenrechte
  2. Schutz und Förderung der allgemeinen Gesundheit
  3. Förderung der sozialen Gerechtigkeit, Verbesserung der globalen Entwicklungsperspektiven und die Einbeziehung der Personen und Gruppen, die am stärksten von der Verbotspolitik benachteiligt wurden, in die Entwicklung von Gesetzen und öffentlichen Programmen
  4. Eindämmung von Kriminalität, Korruption und Gewalt im Zusammenhang mit dem illegalen Drogenhandel
  5. Schutz vor übermäßigem Einfluss der Privatwirtschaft auf die Gesetzgebung
  6. Begrenzung der Anreize, Gewinne aus problematischem Cannabisgebrauch zu erzielen
  7. Schutz junger und vulnerabler Personen vor möglichen Schäden
  8. Festlegung klarer Kennzahlen zur Messung von Entwicklungen und Bestimmung von Erfolg sowie die Einbindung von Evaluationsverfahren

Jedes dieser Hauptziele hat Unterziele, von denen viele in diesem Hörbuch und im Buch näher erläutert werden. Um für die Politikgestaltung und -bewertung von Nutzen zu sein, müssen die Ziele mit aussagekräftigen und messbaren Kennzahlen verknüpft werden. Bereits vor der Öffnung des legalen Marktes sollten daher Ausgangswerte festgelegt werden, um Erfolge und Misserfolge genau messen zu können.

Die sieben Hauptziele sind in keiner bestimmten Reihenfolge aufgeführt, und ihre Gewichtung muss sich aus übergeordneten Notwendigkeiten und Schwerpunktsetzungen ergeben, wie zum Beispiel die Verringerung der Schäden durch den illegalen Cannabisanbau in Naturschutzgebieten (Environmentally Sensitive Areas, ESA) oder die Verringerung von rassistischen Ungleichheiten in der Strafjustiz. Die Ziele müssen stets sorgfältig ausbalanciert und bei Zielkonflikten mit Bedacht gewichtet werden.

Wie gleich in diesem Abschnitt erörtert wird, ist die Abwägung des Mittelweges zwischen widersprüchlichen Prioritäten ein entscheidender Schritt bei der Entwicklung der Struktur eines gesetzlichen Rahmens. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, eine Vielzahl von Interessengruppen frühzeitig zu identifizieren und in den Entscheidungsfindungsprozess einzubeziehen, einschließlich der Personen, die Cannabis gebrauchen, und anderer durch das Verbot geschädigte Personengruppen wie etwa Betroffene von Racial Profiling. Darüber hinaus wird jedes Land bei der Einführung einer Cannabis-Regulierung einige länderspezifische Bedingungen berücksichtigen müssen. 

Die Art des Gesetzgebungsprozesses bringt bestimmte Anforderungen mit sich: So war die Einführung der Regulierungsmodelle in Washington und Colorado an den Wortlaut der verabschiedeten Gesetzesinitiativen gebunden, während in Kanada die Versprechen der gewählten Regierung ausschlaggebend waren.

Die jeweiligen rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen der regulierenden Länder und die internationalen Übereinkommen des Völkerrechts müssen miteinander verhandelt werden. Beispielsweise ist Cannabis in den USA auf Bundesebene nach wie vor illegal, was die Regulierungsmöglichkeiten der Bundesstaaten stark einschränkt. Dies hat zur Folge, dass Regulierungsmodelle mit staatlicher Produktion oder staatlichem Einzelhandel keine Option sind, da die Beschäftigten des US-Bundesstaates andernfalls gegen US-Bundesgesetze verstoßen würden. In Spanien hat sich das Modell der Anbau-Clubs (sogenannte „Cannabis Social Clubs“) innerhalb der rechtlichen Grenzen der Entkriminalisierung (die eine nicht-kommerzielle Produktion und Abgabe erfordern) und unter Beachtung der UN-Verträge (die eine formell lizenzierte Abgabe untersagen) entwickelt.

Gesellschaftliche Bedenken sollten dabei nicht ignoriert werden. Der legale Verkauf von Cannabis kann ein umstrittenes Thema bleiben, und die Unterstützung für eine Regulierung kann von Ort zu Ort und von Bevölkerungsgruppe zu Bevölkerungsgruppe variieren, selbst wenn die Mehrheit der Einwohner*innen eines Landes für die legal regulierte Abgabe ist. In US-Bundesstaaten, in denen die Regulierung von Cannabis per Volksabstimmung beschlossen wurde, haben einige Gemeinden als Reaktion darauf beschlossen, den Einzelhandel in ihrem Zuständigkeitsbereich zu verbieten. Die Regierungen müssen sicherstellen, dass die Bedenken der Bevölkerung berücksichtigt werden, dürfen aber gleichzeitig nicht zulassen, dass sie die Ziele der Regulierung untergraben.

Es ist erforderlich, die Regulierung von Cannabis mit bestehenden Gesetzen und Vorschriften für andere Substanzen, Produkte und riskante Aktivitäten abzustimmen, zum Beispiel in Bezug auf den Umgang mit Giftstoffen, die Lebensmittelsicherheit, Arzneimittel oder den Straßenverkehr. Die Regulierung von Cannabis sollte sich zudem in allgemeinere Gesetze und Vorschriften einfügen, die für die Cannabiswirtschaft relevant sind, einschließlich jener, die vor Ausbeutung am Arbeitsplatz schützen.

Auch die Vereinbarkeit mit kulturellen und politischen Normen ist wichtig zu beachten. So ist zum Beispiel in den USA die Ablehnung staatlicher Eingriffe in den Markt größer als in vielen anderen Ländern, während andernorts die Ablehnung von Konzernen, die den Markt auf Kosten kleinerer, lokaler Unternehmen dominieren, vergleichsweise größer ist.

Die Regulierung muss überdies wirtschaftlich realistisch sein. Wenn die Anforderungen an die Umsetzung zu teuer sind, ist ein Modell nicht tragfähig.

Und die Regulierung muss letztlich politisch durchsetzbar sein. So war zum Beispiel die Entwicklung des eher restriktiven, staatlich kontrollierten Regulierungsmodells in Uruguay von der Erfordernis geprägt, die damals ablehnende Haltung der politischen Opposition aus Nachbarländern und aus der Bevölkerung zu beschwichtigen.

Man muss sich darüber im Klaren sein, dass eine gesetzliche Regulierung kein Allheilmittel für „das Drogenproblem“ ist. Eine Regulierung kann problematischen und schädlichen Cannabisgebrauch nicht komplett beenden und den illegalen Markt nicht vollständig ersetzen. Die Prohibition kann keine Welt ohne Drogen schaffen; Regulierungsmodelle können keine Welt ohne Schäden schaffen. Eine legale Regulierung zielt konkret darauf ab, die Schäden durch die Prohibition und durch den aus ihr hervorgegangenen illegalen Markt zu reduzieren oder zu beheben. Es ist daher sinnvoll, zwischen zwei Aspekten der Reformbestrebungen zu unterscheiden. Zum einen geht es in Hinblick auf die negativen Folgen der bisherigen Drogenpolitik um die die Verringerung oder Beendigung der mit der Prohibition zusammenhängenden Probleme, vor allem die Kriminalisierung von Personen, die illegale Drogen gebrauchen, und die Probleme des unregulierten Marktes. Zum anderen geht es in Hinblick auf die positive Gestaltung zukünftiger politischer Rahmenbedingungen um das Erreichen von Zielen, wie sie in den sieben oben formulierten Hauptzielen für eine erfolgreiche Drogenpolitik nach einer Ära der Prohibition formuliert wurden.

Nach der Aufhebung des Cannabisverbots funktioniert die Cannabispolitik im Prinzip wie die Regulierung von Alkohol und Tabak. Mit Blick auf Fragen der allgemeinen Gesundheit sind die politischen Ziele und die Regulierungsinstrumente nahezu dieselben. Bei der Regulierung von Cannabis stehen jedoch weitere Ziele – und zwar die Förderung der sozialen Gerechtigkeit und der Schutz der Menschenrechte – deutlich stärker im Vordergrund als bei Tabak und Alkohol. Die Alkohol- und Tabakpolitik wurde in der jüngeren Vergangenheit nicht in dem Ausmaß als Instrument der Unterdrückung von Minderheiten eingesetzt wie die Cannabispolitik. Die Alkohol- und Tabakpolitik hat auch nicht die Kriminalisierung ganzer Bevölkerungsgruppen oder das Phänomen der Masseninhaftierung in einigen Ländern begünstigt. Eine Reform der Cannabispolitik kann nicht bei Null anfangen: Sie muss die verheerenden vorsätzlichen Schäden anerkennen, die vor allem Schwarze und Indigene Menschen, People of Color und Angehörige anderer Minderheiten sowie sozial und wirtschaftlich marginalisierte Bevölkerungsgruppen erlitten haben. Die Regulierung neuer Cannabismärkte muss darauf hinwirken, die durch die Prohibition verursachten Ungerechtigkeiten nicht zu wiederholen und fortzuschreiben. Die Cannabispolitik muss es sich zur Aufgabe machen, die historischen Schäden der Prohibition zu beheben und einen gleichberechtigten Zugang zu allen Vorteilen, die der neue Markt bieten wird, zu gewähren.

Darüber hinaus wird es immer wichtiger, Cannabis im Rahmen der gesamten Drogenpolitik zu betrachten und nicht isoliert als eine Art Sonderfall. Cannabis, Tabak und Alkohol sind Drogen, die als Genussmittel verwendet werden und jeweils unterschiedliche Risikoprofile aufweisen. Der fortschreitende Prozess der Entwicklung erfolgreicher Regulierungsmodelle für den Cannabismarkt spiegelt sich auch im Prozess der Verbesserung der Regulierungsmodelle für Alkohol und Tabak wider – und es ist folgerichtig und logisch, für beides zu plädieren. Sobald sich die Debatte über die Reform der Drogenpolitik über Cannabis hinweg weiterentwickelt, werden diese Überlegungen entsprechend auch andere Drogen, einschließlich Psychedelika, Stimulanzien und Beruhigungsmittel, einschließen müssen.

Um den allgemeinen Herausforderungen des schädlichen Gebrauchs von Cannabis und anderen Drogen wirksam zu begegnen, müssen Aufklärung, Prävention, Behandlung und Therapie sowie Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut, Ungleichheit, sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung verbessert werden. Durch die Umsetzung von Regulierungsmodellen, die auf klar kommunizierbaren und umfassenden politischen Zielen und Grundsätzen beruhen, sowie durch die Beseitigung politischer und institutioneller Hindernisse, durch die Freisetzung von Ressourcen für evidenzbasierte Maßnahmen im Bereich der Gesundheitsversorgung und für sozialpolitische Interventionen kann die legale Regulierung langfristig zu besseren Ergebnissen in der Drogenpolitik führen. Reformen können somit nicht nur die Schäden der Prohibition eindämmen, sondern auch zusätzliche Türen öffnen und sich positiv auswirken.

Outro

Dies war Teil 1 von 5 der gekürzten Audio-Version des Praxisleitfadens “Cannabis Regulieren”.

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Komm bei Fragen oder Anregungen gerne auf uns zu. Alle Links und Kontaktdaten findest du in den Shownotes.

Redaktion der Audio-Version: Philine Edbauer

Gelesen von: Jonathan Grün

4. Weitere Folgen

Wir haben vor, 4 weitere Abschnitte aus dem Buch als Hörbuch-Folgen zu veröffentlichen. Die erste Folge wurde dank Unterstützer*innen der My Brain My Choice ermöglicht. Für weitere Folgen legen wir hier zusammen: https://mybrainmychoice.de/spenden

5. Kontakt

Komm/kommen Sie bei Fragen oder Anregungen gerne auf uns zu: leitfaden [at] mybrainmychoice . de